Beschreibung
Deutscher Bücherbund, 19??, 212 Seiten mit 106 Bildern. Taschenbuch, Paperback.
Zustand und Umstand: Der Zustand des Betrachters — Wie sieht die Natur aus — Schauen, Sehen — Betrachtung der Bildfuge — Das Außeroptische. - Die Wandlung der Kunst: Von der Bemalung zur Malerei — Komposition und Dekomposition — Von der vorangestellten Idee zur Freiheit der Selbstverantwortung — Nachbild und Formtrieb als Entfaltungsprozeß — Rhythmus als Zeitkörper. - Das Unbekannte: Die Entdeckung der Kunst — Suchen, finden — Der Künstler im Verhältnis zum Unbekannten — Die Vision — Das Unbekannte als zentraler Wert Will Grohmann über »Das Unbekannte in der Kunst« "Daß Maler schreiben, ist nicht neu, daß sie Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Werkstatt mitzuteilen und zu den Fragen ihres Metiers Stellung zu nehmen wünschen, erscheint sehr natürlich. Nicht jeder Maler schreibt; ob er es tut oder nicht, läßt keine Rückschlüsse auf das geistige und künstlerische Niveau des Betreffenden zu. Dürers oder Leonardos literarischer Nachlaß ist sehr umfänglich, von Rembrandt haben wir so gut wie nichts; Klees Tagebuch und kunstpädagogische Veröffentlichungen füllen mehrere Bände, Picassos Äußerungen einige Seiten. Aber immer klingt wörtliche und bildnerische Aussage zusammen, damals wie heute. Es überrascht uns nicht, daß sich ein Mann wie Kirchner, wenn er zur Feder greift, ebenso spirituell und zugleich emotionell ausdrückt wie in seinen Werken, daß Kandinsky und Klee dieselben Gegensätze als Schriftsteller sind, der eine deduktiv und philosophisch vorgeht, der andere intuitiv und universell, daß Max Bill schreibend und bildend »mathematischen Denkformen« folgt und Hans Arp dem Poetischen schlechthin. Willi Baumeister hat sich erst in der Zeit der Verfemung während des Dritten Reiches und in seiner Isolierung gegen Ende des zweiten Weltkriegs entschlossen, sich und anderen über sein Tun Rechenschaft zu geben und sich über einige seiner Malerkollegen, denen er sich menschlich und künstlerisch verbunden fühlte, verehrungsvoll oder kritisch zu äußern, über Paul Cézanne und Fernand Läger, Adolf Hölzel, seinen Jugendfreund Oskar Schlemmer und andere. Seine wichtigste Publikation über »Das Unbekannte in der Kunst« entstand, während er, durch den Bombenkrieg aus seinem Haus in Stuttgart vertrieben, in Urach und am Bodensee hauste, provisorisch und ohne die Möglichkeit zum Malen. Es hatte sich viel an Einsichten in die Kunst seiner Epoche, aber auch in die fernsten Jahrtausende von Altamira an in ihm aufgespeichert, viel an Gedanken über die Situation des Künstlers, dem es im 20. Jahrhundert nicht erspart blieb, zu Politik und der Gesellschaft Stellung zu nehmen. Was ihn innerlich erregte, war das Abenteuer der Kunst, die Reise ins »Unbekannte«, die Begegnung mit den guten Geistern und den Dämonen, was ihn am Rand interessierte, war die Verteidigung des Schaffenden gegen die Unvernunft des Vorurteils, mochte es aus den Kreisen der Politiker, der Historiker oder der Kritiker kommen. Der Im Grunde Gütige und jedem Streit Abgeneigte konnte scharf und unerbittlich werden, wenn er sich verpflichtet fühlte, Angriffe abzuwehren, die aus der Sphäre des Amusischen oder der reaktionären Gesinnung kamen. Seine Beteiligung am »Darmstädter Gespräch« 1950 war für viele eine willkommene Hilfe im Kampf gegen die Verunklärung der künstlerischen Wahrheiten, wie sie durch den »Verlust der Mitte« entstanden war. Deshalb sei dieser Beitrag Baumeisters in den Band aufgenommen, der die Reihe der literarischen »Documente« eröffnet. Auf der Beschwörung des »Unbekannten« liegt der Akzent des Baumeisterschen Buches. Der Maler entreißt ihm immer wieder neue Werte und bewirkt mit seinen Vorausgriffen in die Zukunft zugleich Entdeckungen nach rückwärts. Der Expressionismus entdeckt die frühe Gotik, der Kubismus die Kunst der Naturvölker, die abstrakte Kunst das Numinose. Die unbeirrbare »Mitte« führt das Steuer, keine Methode oder Hypothese kann die Suche nach dem »Unbekannten« erleichtern. Der originale Künstler geht immer vom Nullpunkt aus und läßt sich überraschen, findet sogar gegen seinen Willen Neues, während der von Vorbildern Abhängige sich von vornherein den Weg in Neuland verbaut. Sogar eine zu klare Vorstellung von dem zu Realisierenden kann hindern. »Der Vollendete handelt ohne Antrieb, schafft ohne Gegenstand, erdenkt ohne Ziel«, zitiert Baumeister aus den Sprüchen des Lao-Tse, und er sieht in dieser geistigen Haltung den idealen, allerdings schwer erreichbaren, vorschöpferischen Zustand des Künstlers. Jedes Kunstwerk ist nach Baumeister eine Selbstdarstellung des Künstlers, jedes Gegenüber von Subjekt und Objekt hört auf. Darin liegt auch für den Kunstfreund die Schwierigkeit, denn wie soll er begreifen, was gemeint ist. Der Maler rät, nicht zu reflektieren, sondern sich der Rätselhaftigkeit und Vieldeutigkeit der Formen, ihren Eigenkräften zu öffnen, bis das Bild in ihm wiederersteht. Immerhin hängt von dem Betrachter viel ab, und Baumeister hat sich nicht gescheut, auch naiven Menschen seine Kunst verständlich zu machen, auf die einfachste Art und oft in humorvoller Weise. Er war vielleicht der einzigste unter den abstrakten Malern, der sich einer gewissen Popularität erfreute, weil man seine Aufrichtigkeit nicht bezweifelte.".