Beschreibung
Conrad Kiesel (1846-1921), Die Blumengabe. Öl auf Holz, 43 x 35 cm, 69 x 61 cm (Rahmen), links unten mit „Conrad Kiesel pxt [pinxit]“ signiert, um 1900. In prunkvollem Goldstuckrahmen der Zeit. Rückseitig mit altem Aufkleber einer Londoner Galerie.
- Größere, vom Künstler selbst vorgenommene Retuschen zur nachträglichen Aufhellung des Inkarnats. Das Gemälde ist in sehr gutem Zustand, der Rahmen partiell berieben und bestoßen.
Die Tiefe der Allegorie
Conrad Kiesel veranschaulicht auf den ersten Blick Flora, die Göttin der Blüte und des Frühlings, und doch fügt sich die dargestellte Figur nicht in die überlieferte Ikonografie. Flora hat weder schwarzes Haar noch trägt sie einen Lorbeerkranz. Von der traditionellen Bildsprache ausgehend, schafft Conrad Kiesel eine neuartige Allegorie, die neben dem sich entfaltenden Leben auch Eros, Tod und die über den Tod triumphierende Kunst in sich einbindet.
Die Blumen veranschaulichen das aufblühende Leben, dessen Schönheit in der jungen Frau vor Augen steht. Die Blumen scheinen sich ihr förmlich zuzuwenden und ihr antikisierendes graublaues Gewand weist eine den Blüten verwandte Faltenstruktur auf, so dass es seinerseits wie ein Blütenkelch wirkt, aus dem die jugendliche Schönheit hervorgeht. Dabei lässt das Gewand nicht allein einen Blick auf ihren Oberarm zu, der zur Imagination der Schulter und dem Nachvollzug der eleganten Halslinie animiert, dort, wo die beiden rosafarbenen Chrysanthemen die jugendliche Schönheit ‚anschauen‘, ist das Gewand durchscheinend, so dass ihre Brust in einem Spiel von Ver- und Enthüllung sichtbar wird.
Das vom Eros durchwaltete aufblühende Leben wird vom schwarzen Haar und den dunklen Augenhöhlen konterkariert, mit denen allegorisch die Dimension des Todes in das Motiv hineingetragen wird. Die junge Frau ist aber auch mit dem Lorbeerkranz des ewigen Ruhms bekrönt, so dass aus der Flora eine Viktoria wird, die veranschaulicht, dass der Ruhm den Tod überwindet. Zugleich ist der Lorbeerkranz aber auch ein Symbol für die Dichtkunst, was die junge Dame zur Personifikation der Poesie und Inspiration macht und als Muse perspektiviert. Vor diesem Ewigkeitsaspekt, der auf die Kunst selbst bezogen ist, wirkt der gelbliche Fond wie ein Goldgrund, vor dem die junge Frau wie eine Heilige erscheint.
Conrad Kiesel war vor allem ein äußerst gefragter Porträtist. Bei diesem Gemälde, bei dem er keinem Porträtauftrag nachkam, hatte er die Freiheit, ganz seinen eigenen Bildideen zu folgen. Er schuf eine vielschichtige Allegorie, deren geheimnisvolle Attraktionskraft darin besteht, sich nicht endgültig auflösen zu lassen.
Das Gemälde ist eine Auskoppelung und allegorische Zuspitzung seines Bildes ‚Die Margareten‘ in der Manchester Art Gallery, das in Variation auch von der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) in Malerei umgesetzt worden ist.
Während die orientalische Schönheit dort die Blumen feilbietet, entnimmt die junge Frau auf unserem Bild dem Strauß mit eleganter Geste zwei gelbe Blumen, um sie jenem darzureichen, den ihr Blick auserwählt hat und dessen Namen der sinnlich geöffnete Mund bereits auszusprechen scheint.
Der Wandel von der orientalischen Schönheit zur Allegorie erklärt die zur Aufhellung des Inkarnats vorgenommenen Retuschen. Diese Sensibilität für die Farbe zeigt sich auch in der Entscheidung, die junge Frau zwei gelbe Blumen aus dem ansonsten rosafarbenen Strauß entnehmen zu lassen. Im Verbund mit dem Graublau des Gewandes entsteht dadurch eine subtile in sich austarierte Farbspannung.
zum Künstler
Conrad Kiesel widmete sich zunächst an der königlichen Akademie der Baukunst Düsseldorf der Architektur, wechselte dann aber an die Berliner Akademie der Künste, um unter Fritz Schaper Bildhauerei zu studieren. Nach einer sechsjährigen Tätigkeit als Bildhauer entschloss er sich unter dem Eindruck einer Hollandreise, Maler zu werden. Zunächst war er Schüler von Fritz Paulsen in Berlin, um dann nach Düsseldorf zu wechseln und dort bei Wilhelm Sohn zu studieren.
„Bei Wilhelm Sohn eignete er sich koloristische Fertigkeiten an, welche er schnell zur höchsten Virtuosität, namentlich in der Behandlung von glänzenden Seiden- und Atlasstoffen entfaltete.“
Adolf Rosenberg
Nach einem Aufenthalt in München ließ sich Conrad Kiesel 1885 in Berlin nieder und wurde bis in die höchsten Kreise hinein zum gefragten Gesellschafts- und Porträtmaler. Er schuf Bildnisse von Wilhelm II. und der Kaiserin Augusta. 1886 erfolgte seine Ernennung zum königlichen Professor.
Auf den Ausstellungen der Berliner Akademie wurden er mehrfach mit der goldenen Medaille ausgezeichnet. Seine Werke waren regelmäßig auf den Akademieausstellungen in Düsseldorf und Wien und dem Münchner Glaspalast zu sehen. International stelle er 1909 in der Royal Academy of Arts aus und war 1910 auf der Pariser, und 1911 auf der Römischen Weltausstellung vertreten.
ENGLISH VERSION
Conrad Kiesel (1846-1921), The gift of flowers. Oil on wood, 43 x 35 cm, 69 x 61 cm (frame), signed at lower left "Conrad Kiesel pxt [pinxit]", about 1900. In a magnificent gilt stucco frame of the period. With an old London gallery label on the reverse.
- Major retouching by the artist himself to lighten the incarnate. The painting is in very good condition, the frame partially rubbed and bumped.
The depth of allegory
At first glance, Conrad Kiesel illustrates Flora, the goddess of blossom and spring, and yet the figure depicted does not fit into the traditional iconography. Flora has neither black hair nor does she wear a laurel wreath. Based on traditional imagery, Conrad Kiesel creates a novel allegory that includes eros, death, and the triumph of art over death alongside the unfolding of life.
The flowers illustrate the blossoming life whose beauty is before our eyes in the young woman. The flowers seem to formally turn towards her, and her antiquing gray-blue robe has a folded structure related to the flowers, so that it in turn seems like a calyx of blossoms from which the youthful beauty emerges. The garment not only allows a view of her upper arm, which animates the imagination of the shoulder and the tracing of the elegant neck line, where the two pink chrysanthemums 'look' at the youthful beauty, the garment is translucent, so that her breast becomes visible in a game of concealment and revelation.
The blossoming life imbued with Eros is contrasted by the black hair and dark eye sockets, allegorically introducing the dimension of death into the motif. But the young woman is also crowned with the laurel wreath of eternal glory, so that the flora becomes Victoria, illustrating that glory overcomes death. At the same time, the laurel wreath is also a symbol of poetry, making the young woman the personification of poetry and inspiration, as well as a muse. Consistent with this aspect of eternity, which refers to art itself, the yellowish background appears like a golden ground, against which the young woman appears like a saint.
Conrad Kiesel was especially sought after as a portraitist. In this painting, in which he did not follow a portrait commission, he had the freedom to follow his own pictorial ideas completely. He created a multi-layered allegory whose mysterious appeal lies in the fact that it cannot be definitively resolved.
The painting is an excerpt and allegorical intensification of his picture 'Die Margareten' in the Manchester Art Gallery, which in variation was also converted into painting by the Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM).
While the oriental beauty is hawking the flowers there, the young woman in our picture takes two yellow flowers from the bouquet with an elegant gesture in order to offer them to the one whom her gaze has chosen and whose name her sensually open mouth already seems to pronounce.
The change from oriental beauty to allegory explains the retouching done to lighten the incarnate. This sensitivity to color is also evident in the decision to have the young woman remove two yellow flowers from the otherwise pink bouquet. Combined with the gray-blue of the garment, this creates a subtle, well-balanced tension of color.
About the artist
Conrad Kiesel first studied architecture at the Royal Academy of Architecture in Düsseldorf, but then transferred to the Berlin Academy of Arts to study sculpture with Fritz Schaper. After working as a sculptor for six years, he decided to become a painter, inspired by a trip to Holland. He was first a student of Fritz Paulsen in Berlin, then moved to Düsseldorf to study under Wilhelm Sohn.
"With Wilhelm Sohn he acquired colouristic skills which he quickly developed to the highest virtuosity, namely in the treatment of shiny silk and atlas fabrics".
Adolf Rosenberg
After a stay in Munich, Conrad Kiesel settled in Berlin in 1885 and became a sought-after society and portrait painter in the highest circles. He painted portraits of Wilhelm II and the Empress Augusta. In 1886 he was appointed Royal Professor.
He was awarded the gold medal several times at the exhibitions of the Berlin Academy. His works were regularly exhibited at the Academy exhibitions in Düsseldorf and Vienna and at the Glass Palace in Munich. Internationally, he exhibited at the Royal Academy of Arts and was represented in 1910 at the Paris, and 1911 at the Roman World's Fair.